LG Düsseldorf, 24.03.2017, 10 O 308/15: Rangrücktritt in Formular/ AGB bei widersprechenden Regelungen zur Rangtiefe intransparent und unwirksam

Ein Finanzinvestor FI hatte einem Unternehmen U mehrere Darlehen gewährt, die unter § 10 der zugehörigen, durch FI vorgegebenen, Darlehensbedingungen (DB) folgende Rangrücktrittsregelungen enthielten:

„§ 10 Nachrangigkeit, qualifizierter Rangrücktritt

Das Nachrangdarlehen tritt mit seinen Forderungen gegenüber allen anderen Ansprüchen von Gläubigern gegen die Darlehensnehmerin im Rang zurück. Zahlung von Ansprüchen aus dem Nachrangdarlehen insbesondere die Zahlung der Zinsen sowie die Rückzahlung des valutierten Darlehensbetrages steht unter dem Vorbehalt, dass bei der Darlehensnehmerin ein Insolvenzeröffnungsgrund nicht entsteht. Können aufgrund dieses Zahlungsvorbehalts Zinszahlungen durch die Darlehensnehmerin nicht geleistet werden, sind diese, unter den Voraussetzungen des § 10 zum nächsten Zinstermin nachzuholen. Kann aufgrund des Zahlungsvorbehalts die Rückzahlung des Kapitals nicht zum Fälligkeitstag erfolgen, ist die Rückzahlung unter den Voraussetzungen des § 10 drei Monate nach dem Fälligkeitstag vorzunehmen. Das Nachrangdarlehen wird mit seinen Forderungen, im Fall des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Darlehensnehmerin oder der Liquidation der Darlehensnehmerin, erst nach Befriedigung aller nicht nachrangigen Gläubiger bedient.“

Ein Darlehen wurde von U an FI nach Eintritt der Fälligkeit - also eher planmäßig - am 20.10.2013 zurück gezahlt. Kurze Zeit später wurde über das Vermögen des U aufgrund eines Fremdantrags vom 12.11.2013 das Insolvenzverfahren eröffnet.

Der Insolvenzverwalter I erklärte anschließend die Anfechtung der Rückzahlung des Darlehens an FI und forderte FI auf, den erhaltenen Betrag an ihn zu zahlen. Er begründete dies damit, dass U bereits mindestens seit dem Dezember 2012 dauerhaft überschuldet sei und FI so die erfolgte/n Rückzahlung/en aufgrund des vereinbarten Nachrangs nicht habe beanspruchen können, da jeweils vorrangige Ansprüche von Anlegern aus Orderschuldverschreibungen gegen U bestanden hätten und U – was in deren Jahresabschluss zum 31.12.2012 durch eine unrichtige Bilanzierung von Lebensversicherungspolicen und Ansprüchen aus sog. Edelmetall-Sparplänen verschleiert worden sei – spätestens seit dem 31.12.2012 dauerhaft überschuldet gewesen sei. Infolgedessen unterlägen die erfolgten Rückzahlungen gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 3, § 134 Abs. 1 und § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO der Insolvenzanfechtung.

 

Das LG Düsseldorf hat sich in seiner Entscheidung mit der vereinbarten Nachrangklausel befasst. Entscheidungserheblich war, ob die in § 10 DB formulierte Rangrücktrittsregelung wirksam eine vorinsolvenzliche Durchsetzungssperre konstituiert (die Rückzahlungen also wirksam verbietet) und aus diesem Grund die durch U geleistete Zahlung als "inkongruente Deckung" durch den Insolvenzverwalter angefochten werden konnte.

Das LG kam nach Prüfung der Rangrücktrittsregelung mit Blick auf den hier gegebenen Zeitraum vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu dem Ergebnis, dass in dem vorliegenden Einzelfall eine Anfechtung der Zahlung wegen Inkongruenz nicht möglich war; die Nachrangvereinbarung habe die erfolgte Rückzahlung vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens aufgrund ihrer konkreten Ausgestaltung zugelassen:

Nach Satz 1 des § 10 DB tritt das Nachrangdarlehen hinter allen anderen Forderungen von Gläubigern des U im Rang zurück. Satz 5 bestimmt dann, dass das Nachrangdarlehen mit seinen Forderungen im Fall des Insolvenzverfahrens über das Vermögen von U oder der Liquidation von U erst nach Befriedigung aller nicht nachrangigen Gläubiger bedient wird. Für den Zeitraum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist damit eine widersprüchliche Regelung getroffen (hinter allen oder hinter allen nicht nachrangigen?). Während bei Geltung der Bestimmung von Satz 1 ein insolvenzvermeidender Rangrücktritt bestünde, ergibt sich aus der Regelung in Satz 5 lediglich eine Rangpositionierung hinter die einfachen Insolvenzgläubiger nach § 38 InsO. Bei dieser positionsbezogenen Rangbestimmung fehlt es an der nach § 19 Abs. 2 InsO zur Überschuldungsvermeidung erforderlichen Rangtiefe. § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO bestimmt: "Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen oder aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, für die gemäß § 39 Abs. 2 zwischen Gläubiger und Schuldner der Nachrang im Insolvenzverfahren hinter den in § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 bezeichneten Forderungen vereinbart worden ist, sind nicht bei den Verbindlichkeiten nach Satz 1 zu berücksichtigen."

Das LG legt die nach seiner Wertung widersprüchliche AGB-Regelung dahingehend aus, dass allenfalls die nach Satz 5 vorgesehene Bestimmung Bestand haben kann. Diese Bestimmung bewertet das ericht als nicht hinreichend nach Maßgabe der Regelung des § 19 Abs. 2 InsO zur Vermeidung einer Überschuldung. Eine insolvenz- weil überschuldungsvermeidende Rengrücktrittsvereinbarung ist so nicht gegeben - und folglich wohl die Forderung aus dem gegenständlichen Darlehen so durchgehend im Rahmen des Insolvenzstatus von U voll zu berücksichtigen.

Zu der im vorliegenden Einzelfall gegenständlichen Anfechtung und deren nicht gegebener Berechtigung führt das Gericht nter Bezug auf die aus seiner Perspektive nicht hinreichende Rangrücktrittserklärung dann aus:

"Der Zeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist Gegenstand der Regelung des § 10 S. 2 DB, wonach [die] Zahlung von Ansprüchen aus dem Nachrangdarlehen[,] insbesondere die Zahlung der Zinsen sowie die Rückzahlung des valutierten Darlehensbetrages[,] unter dem Vorbehalt [steht], dass bei der Darlehensnehmerin ein Insolvenzeröffnungsgrund nicht entsteht. Der Wortlaut dieser Klausel erlaubt unterschiedliche Auslegungen. Welcher von ihnen unter Berücksichtigung des – mutmaßlichen, weil an keiner Stelle des Vertrags klar zum Ausdruck gebrachten – Telos der Regelung zu folgen ist oder ob auch § 10 S. 2 DB wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB) als unwirksam anzusehen ist, kann letztlich dahinstehen, weil im Ergebnis keine der zu erwägenden Auslegungsmöglichkeiten eine Inkongruenz der streitgegenständlichen Zahlungen zu begründen vermag:

(1)Die Klausel könnte zum einen dahin zu verstehen sein, dass eine (Rück-) Zahlung nur dann unterbleiben soll, wenn anderenfalls gerade infolge dieser Zahlung ein Insolvenzgrund im Sinne der §§ 17 ff. InsO entstünde, die Befriedigung der Forderung mithin bei der Schuldnerin eine Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit auslösen würde (vgl. BGH, Urteil vom 05.03.2015, Az. IX ZR 133/14, Rn. 22, 26). Bei einem solchen Verständnis, welches durch die Verwendung des – auf die Zukunft bezogenen – Prädikats „entsteht“ anstelle des – auf die Gegenwart bezogenen – Prädikats „besteht“ nahegelegt wird, diente die Regelung primär dem Ziel, den Insolvenzeintritt zu vermeiden. Bei Zugrundelegung des klägerischen Vorbringens, dass bei der Schuldnerin bereits spätestens seit dem 31.12.2012 – mithin lange vor den streitgegenständlichen Zahlungen – dauerhaft Überschuldung vorgelegen habe, wäre die Klausel von vornherein nicht einschlägig. Auch nach Erörterung in der mündlichen Verhandlung, in der die Kammer gerade auch diesen Aspekt zur Sprache gebracht hat, hat sich der Kläger das diesbezüglichen Bestreiten des Beklagten, wonach die Schuldnerin bei Vornahme der streitgegenständlichen Zahlungen (noch) nicht überschuldet gewesen sei, nicht (hilfsweise) zu eigen gemacht, sondern – im Gegenteil – seinen Sachvortrag zu der behaupteten Überschuldung noch einmal vertieft. Entsprechendes gälte, wenn man aus der Formulierung „entsteht“ lediglich folgern würde, dass der Insolvenzgrund nach Abschluss des jeweiligen Vertrags entstehen müsse, ohne – wie zuvor erwogen – eine kausale Verknüpfung mit der jeweils anstehenden Zahlung zu postulieren. Denn die Darlehensverträge, auf denen die streitgegenständlichen Zahlungen beruhen, wurden erst im August bzw. September 2013 – mithin zu einem Zeitpunkt, zu dem die Schuldnerin nach dem Vortrag des Klägers bereits überschuldet war – abgeschlossen.

(2)Vom Wortlaut der Klausel gedeckt wäre auch eine Auslegung dahingehend, dass die Darlehensnehmerin berechtigt sein soll, auf Nachrangdarlehen geleistete Zahlungen zurückzufordern, wenn zu einem späteren Zeitpunkt ein Insolvenzgrund entsteht. Bei einem solchen Verständnis, welches die geleisteten Zahlungen anfechtungsrechtlich als „auflösend bedingt kongruent“ erscheinen ließe, würde die Regelung – gleichsam einer erweiterten Insolvenzanfechtung – primär den Schutz der Insolvenzgläubiger vor einer Verkürzung der Insolvenzmasse bezwecken. Abgesehen davon, dass eine Regelung dieses Inhalts sowohl überraschend wäre (§ 305c Abs. 1 BGB) als auch den Vertragspartner unangemessen benachteiligen würde (§ 307 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 BGB), weil auch ein Nachrangdarlehensnehmer vernünftigerweise nicht mit einem zeitlich unbefristeten und damit die Anfechtungsfristen der §§ 130 ff. InsO vollkommen aushöhlenden Rückforderungsvorbehalt zu rechnen braucht, wäre die Regelung bei Unterstellung der vom Kläger behaupteten dauerhaften Überschuldung seit dem 31.12.2012 ebenfalls nicht einschlägig (s. o.).

(3)Schließlich könnte mit dem Vorbehalt gemeint sein, dass eine (Rück-) Zahlung auch dann unterbleiben soll, wenn die Insolvenzreife nicht erst durch sie ausgelöst würde, sondern im Zeitpunkt der Zahlung bereits besteht. Auch diese Auslegung, welche der anfechtungsrechtlichen Argumentation des Klägers zugrunde liegt und die streitgegenständlichen Zahlungen als inkongruent im Sinne des § 131 Abs. 1 InsO erscheinen ließe, würde zunächst auf den Schutz der Insolvenzgläubiger abzielen. Nach Auffassung der Kammer erscheint es angesichts des Wortlauts der Klausel – Verwendung des zukunftsbezogenen Prädikats „entsteht“ anstelle des gegenwartsbezogenen Prädikats „besteht“ (s. o.) – allerdings bereits zweifelhaft, ob einem durchschnittlichen, aufmerksamen und sorgfältigen Vertragspartner, auf dessen objektiven Empfängerhorizont es bei der Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen ankommt (s. o.), gerade dieses Verständnis abgefordert werden kann."

Die Bewertung durch das Gericht ergibt, dass dem Insolvenzverwalter keine Rückforderungsansprüche gegen FI zustehen.

Zugleich ergibt sich aus der Bewertung der Rangrücktrittsvereinbarung als nicht hinreichend zur Vermeidung einer Überschuldung, dass U über einen längeren Zeitraum bereits überschuldet gewesen sein wird.

Der klagende Insolvenzverwalter hat sein Ziel mit einer Berufung zum OLG und anschließend mit einer Zulassungsbeschwerde zum BGH weiter verfolgt. Im Ergebnis wurde das LG Düsseldorf in den Folgeinstanzen bestätigt, SIEHE HIER.