Leserbriefe, Texte Dritter - zulässige Verwendung in Medien

Presseorgane und Internetplattformen erhalten gelegentlich Wortbeiträge Dritter - sei es als Brief, E-Mail, SMS etc. -, die der Empfänger gerne als Leserbrief, Leserstimme etc. abdrucken oder online verarbeiten würde.

Hier stellt sich regelmäßig die Frage, ob der Wortbeitrag publiziert werden darf.

Die öffentliche Verbreitung der schriftlichen Äußerung einer Person – Brief, E-Mail etc. – kann aufgrund urheberrechtlicher und/oder persönlichkeitsrechtlicher Gesichtspunkte unzulässig sein. Erfolgt die öffentliche Verbreitung dabei durch ein Organ der Presse, so ist im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit der Verbreitung zu Gunsten des Presseorgans die verfassungsrechtlich gewährleistete Pressefreiheit zu berücksichtigen.

Nachfolgend soll zunächst der „Standardfall“ eines Leserbriefes in einem Presseorgan dargestellt (a.), sodann ein Überblick über eine vorzunehmende urheberrechtliche (b.) und eine persönlichkeitsrechtliche (c.) wiedergegeben werden. Angesprochen wird unter d. zudem der Ausnahmefall einer Berechtigung zur Veröffentlichung eines Leserbriefes auf Grund Aspekten der Pressefreiheit unabhängig vom Vorliegen einer Einwilligung.

a.    „Standardsituation“ Leserbrief in der Presse
Der „übliche Leserbrief“ wird durch den Verfasser in der Regel auch als „Leserbrief“ tituliert. Die Versendung erfolgt unter Verwendung einer Empfängerangabe, die von dem Presseorgan hierzu kommuniziert wird.
Das Presseorgan ist nach allgemeiner Auffassung berechtigt, eine entsprechend als Leserbrief titulierte Zusendung zeitnah in der für Leserbriefe vorgesehenen Rubrik zu publizieren und sie entsprechend zu vervielfältigen und zu verbreiten. Eine Veröffentlichungspflicht besteht dabei nicht.

Häufig ergibt sich eine Auseinandersetzung dahingehend, ob da Pressorgan einen Leserbrief verändern darf, bevor dieser veröffentlicht wird. Als eine aus Perspektive der publizierenden Presse branchenübliche Veränderung ist die Kürzung von Leserbriefen zu verstehen.
Zur Zulässigkeit einer Kürzung von Leserbriefen bestehen umfangreiche Diskussionen. Während von Seiten der Publikationen auf eine Branchenüblichkeit verwiesen wird, vertritt die das Recht einer Kürzung verneinende Auffassung, dass jegliche Bearbeitung eines Leserbriefes einer Einwilligung des Verfassers bedarf. Während für die Zulässigkeit eines Kürzungsrechts Gesichtspunkte der Praktikabilität sprechen, erscheint die rein rechtliche Bewertung der Gesamtsituation eher eindeutig ein Recht zur unautorisierten Kürzung von Leserzusendungen zu verneinen. Gelegentlich wird von Seiten der Presseorgane versucht, eine Einwilligung des Verfassers eines Leserbriefes so zu erreichen, dass im Umfeld der Leserbriefpublikationen auf die Kürzung von Einsendungen hingewiesen wird. Ob dieser Hinweis dazu genügt, jeden Einsender schlüssig sein Einverständnis mit einer Kürzung des eingesendeten Textes erklären zu lassen, erscheint diskutabel und wird im Einzelfall sehr von der konkreten Ausgestaltung des Hinweises abhängen.

Unter Verwendung der elektronischen Medien erscheint es heute als praktisch sinnvoller Weg, gegenüber dem Einsender eines Leserbriefs per E-Mail den Eingang des Beitrags zu bestätigen und zugleich diesen um Erklärung des Einverständnisses zu einer Kürzung aus technischen oder aus Platzgründen zu bitten. Erklärt der Einsender durch Betätigung eines übermittelten Links das Einverständnis, so kann anschließend eine gekürzte Veröffentlichung des Leserbriefs zulässig erfolgen.


b.    Urheberrechtliche Situation
Ist ein Leserbrief als urheberrechtlich geschütztes Sprachwerk im Sinne des Urheberrechtsgesetzes zu werten, so gelten für den Leserbrief dieselben Vorgaben, die für alle urheberrechtlich geschützten Texte Anwendung finden.

Der Urheberrechtsschutz baut auf dem Vorliegen einer persönlichen geistigen Schöpfung auf. Sprachliche Mitteilungen sind entsprechend urheberrechtlich geschützt, wenn sie entweder ihrer Darstellungsform nach oder wegen ihres Inhalts eine persönliche geistige Schöpfung beinhalten, vgl. Wandtke/Bullinger, UrhR, 4. Auflage 2014, § 2 Rn. 48. Bei Sprachwerken mit wissenschaftlichem und technischem Inhalt kann sich der Urheberrechtsschutz auf die individuelle Gedankenführung und/ oder die Auswahl und Anordnung der wissenschaftlichen und technischen Inhalte beziehen, Wandtke/Bullinger, § 2 Rn. 50. Für die Annahme der Schutzfähigkeit wissenschaftlicher Texte wird von der Rechtsprechung gelegentlich gefordert, dass die Darstellung das Alltägliche oder Handwerksmäßige deutlich überragen muss, vgl. Wandtke/Bullinger, § 2 Rn. 57 a.E.
1994 hatte der Schriftsteller Botho Strauß einen Essay „Anschwellender Bocksgesang“ in einem Sammelband „Die selbstbewusste Nation“ erscheinen lassen. Zu der Aufnahme des Essays in den Sammelband kam es zu einem Briefwechsel zwischen Botho Strauß und einem Redakteur des Magazins „Theater heute“. Botho Strauß hat in seinem zweiten und letzten Schreiben angeführt: „Zum Schluss möchte ich Sie bitten, die beiden Briefe an Sie als Privatsache zu betrachten und daraus nichts zu veröffentlichen“. Anschließend wurde der gesamte Briefwechsel in dem Magazin „Theater heute“ veröffentlicht.
Zu dem Briefwechsel hat das Landgericht Berlin mit Urteil vom 10.01.1995, 16 O 788/94, veröffentlich in NJW 1995, 881, ausgeführt, dass es für die Gewährung eines urheberrechtlichen Werkschutzes einer literarischen Bedeutung bzw. Originalität, die ihren Ausdruck in der den Brief prägenden Textgestaltung finden kann, bedarf. Es bestehe in Abgrenzung zum wissenschaftlichen Gemeingut insoweit eine Parallele zu Darstellungen wissenschaftlicher und technischer Art [...], deren Schutzobjekt ebenfalls nur die Darstellung betrifft, nicht aber den dargestellten Gegenstand selbst umfasste [...].

Das Gericht hat zur Komplexität der Frage, ob ein Leserbrief bereits die Schwelle zu einem urheberrechtlichen Werk überschreitet, umfangreich ausgeführt und dies für die durch Botho Strauß verfassten Briefe letztendlich bejaht.

Es wird immer eine Frage des Einzelfalls sein, ob ein Leserbrief dem Urheberrechtsschutz unterliegt. Dies sollte in der Regel der Fall sein, wenn die Zuschrift sich von einfachen Mitteilungen, von der Masse des Alltäglichen, abhebt, was auf einer originellen Art des gedanklichen Inhalts, der Sprachgestaltung oder auch der Auseinandersetzung mit einem wissenschaftlichen, kulturellen oder politischen Thema beruhen kann, vgl. Bock, Urheberrechtliche Probleme beim Leserbrief, GRUR 2001, 397.

Liegt ein urheberrechtlich geschütztes Werk vor, so ist jede Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung des Leserbriefs von der Gestattung des Urhebers abhängig. Umfasst ist davon insbesondere der Abdruck in Printausgaben und die Übernahme des Leserbriefs in ein Internetangebot.

Erteilt der Verfasser des Leserbriefs seine Einwilligung, so bedeutet dies zunächst, dass der Leserbrief in seiner eingereichten Fassung entsprechend der Einwilligung genutzt werden darf. Wenn der Leser hierzu keine Einschränkung oder Spezifizierung mitteilt, so ist nach der urheberrechtlichen Zweckübertragungslehre die Einwilligung dahingehend auszulegen, dass der Leserbrief im Zweifel nur sehr zeitnah im Anschluss an die zugrundeliegende Berichterstattung des Organs in der für Leserbriefe üblicherweise vorgesehenen Rubrik und unter üblicher Autorennennung veröffentlicht werden darf. Jede Abweichung von den aufgeführten Kriterien sollte zuvor durch eine ausdrückliche Genehmigung des Verfassers abgesichert werden.


c.    Persönlichkeitsrechtliche Situation
Unabhängig von einem Urheberechtsschutz, also von dem Vorliegen einer persönlichen geistigen Schöpfung in Form des Leserbriefes, sind zusätzlich zu den urheberrechtlichen Vorschriften die sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Verfassers des Leserbriefes ergebenden Handlungsvorgaben zu beachten.

Bereits im Jahr 1954 hat der BGH mit seinem Urteil vom 25.05.1954, I ZR 211/53, veröffentlicht in NJW 1954, 1404, zu dem Persönlichkeitsschutz von Zuschriften an Presseorgane ausgeführt:

„Jede sprachliche Festlegung eines bestimmten Gedankeninhalts ist, und zwar auch dann, wenn der Festlegungsform eine Urheberschutzfähigkeit nicht zugebilligt werden kann, Teil der Persönlichkeit des Verfassers. Daraus folgt, dass grundsätzlich dem Verfasser allein die Befugnis zusteht, darüber zu entscheiden, ob und in welcher Form seine Aufzeichnungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden; denn jeder unter Namensnennung erfolgenden Veröffentlichung von Aufzeichnungen eines noch lebenden Menschen wird von der Allgemeinheit mit Recht eine entsprechende Willensrichtung des Verfassers entnommen. [...]“

Der BGH hat die Interessenlage des Verfassers, dessen Werk nicht dem Urheberrechtsschutz unterliegt, mit der des Urhebers eines geschützten Leserbriefes im Wesentlichen gleichgestellt.
Dem Verfasser eines zu Unrecht veröffentlichten Beitrags steht beispielsweise ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1, 2 BGB i.V.m. Artikel 1, 2 Grundgesetz zu.


d.    Ausnahmsweise: Veröffentlichungsrecht aufgrund Pressefreiheit
Ein Verfasser, der sich schriftlich an ein Presseorgan wendet, begibt sich nicht durch diese Handlung bereits seiner Rechte an dem übermittelten Text.

Grundsätzlich ist der eingereichte Text unter Berücksichtigung eines eventuell bestehenden Urheberrechts und/oder persönlichkeitsrechtlicher Ansprüche zu nutzen.

Ausnahmsweise kann in einer derartigen Situation eine Veröffentlichung dennoch zulässig sein, sofern sich dies aus einer Bewertung der Kollision der betroffenen, durch das Grundgesetz geschützten Werte, des geistigen Eigentums und dem Urheberpersönlichkeitsrechts zusammen mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrechts auf der einen und auf der anderen Seite dem Recht der Meinungs- und Pressefreiheit, ergibt, vgl. LG Berlin zu „Anschwellender Bocksgesang“, Seite 882. Der durch das Landgericht Berlin behandelte Fall ist hinsichtlich vieler Aspekte der konkreten Einzelfallgestaltung besonders. Die Berechtigung, ein Anschreiben an ein Presseorgan in diesem als Leserbrief zu publizieren, ohne dass dies durch den Verfasser des Anschreibens entsprechend autorisiert wurde, kann nur in ganz speziellen absolut seltenen Einzelfällen aufgrund der verfassungsrechtlich gewährten Pressefreiheit erfolgen. Erstrecht gegen den ausdrücklich oder schlüssig mitgeteilten Willen des jeweiligen Verfassers des Anschreibens.

 

Sofern Unklarheit besteht, ob ein Textbeitrag in einem Internetprotal oder als Leserbrief in einem Presseorgen genutzt werden darf, fragen Sie uns gerne!