Der Frosch und der Skorpion

An einem lauen Sommerabend kroch der Frosch aus dem schützenden Gebüsch an das Ufer des kleinen Flusses. Er hockte sich an den Lauf, spürte die Wärme der von der Sonne den ganzen Tag über aufgeheizten Steine und ließ seinen Blick über den gegenüberliegenden Uferstreifen gleiten. Da irgendwo war sie, die Fröschin, mit der er sich zum Beobachten des Sonnenuntergangs verabredet hatte. Noch ein zwei kleine Dehnbewegungen und dann ab ins Wasser, dachte er. Da knackte es etwas stromauf hinter dem Frosch in der Uferböschung.

Der Frosch drehte sein linkes Auge leicht nach hinten. In einiger Entfernung war ein mittelgroßer hellbrauner Skorpion mit kräftigen Greifscheren, einem dicken gebogenen Schwanz und einem im letzten Sonnenlicht leicht glänzenden Stachel die an dieser Stelle steilere Böschung zum Flußufer etwas ungeschickt herab gerutscht. Er schüttelte sich und sah den Frosch mit schwarzen, ausdruckslosen Augen an.

"Frosch, was machst Du da am Wasser?"

"Ich werde gleich in den Fluss springen und zum anderen Ufer schwimmen. Dort werde ich mit einer niedlichen Fröschin den Sonnenuntergang beobachten und einen hoffentlich schönen Abend haben..."

"Ich war noch nie am anderen Ufer des Flusses. Ich kann nicht schwimmen. Ist es da schön? Wie ist es da?"

Der Frosch schaute nach seinen letzten Worten noch etwas verträumt zu der Stelle, die er für den Abend mit seiner Fröschin ausgesucht hatte. Nach den Fragen des Skorpions löste er sich widerwillig aus diesen Gedanken und blickte zu dem immer noch in eher sicherer Entfernung hockenden Skorpion, der ihn fast kindlich neugierig und fragend ansah.

"Sehr schön ist es da. Es gibt einen schönen Blick auf den Sonnenuntergang und leckere Fruchtfliegen..."

Er lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf den anstehenden Abend und schreckte fast von den ihn sehr erstaunenden nächsten Fragen des Skorpions auf:

"Ich war noch nie da! Kannst Du mich mit rüber nehmen? Bist Du so gut und hilfst mir, dass ich das auch mal sehen kann?"

Der Frosch musste die Fragen erst einmal setzen lassen. Die Gedanken an sich bei seiner Fröschin stammelte er "Aber Du bist ein Skorpion. Du wirst mich mit Deinem Stachel stechen und das kann ich doch nicht riskieren.".

Der Skorpion hob daraufhin beschwörend seine Scheren und setzte an "Wie kommst Du denn auf sowas. Weshalb sollte ich Dir irgend etwas tun, wenn Du mir die größte Hilfe bist, etwas ganz Neues zu sehen und zu erleben, was mir ohne Dich immer verschlossen wäre. Ohne Dich würde ich doch gar nicht schwimmen können und käme auch nicht an meine Seite des Flusses zurück. Du bist doch mein einziger und bester Helfer! Bitte, sei so gut! Ich werde Dich dann immer beschützen!"

Der Frosch war während der warm und eindringlich gesprochenen beschwörenden Worte des Skorpions wieder in seine Abendgedanken abgeglitten. Er wollte jetzt bald los und spürte, dass er mehr und mehr innerlich nachgeben und dem Skorpion und dessen doch an sich vernünftig klingenden Argumenten folgen würde. Noch ein paar eindringliche Worte des Skorpions und dann meinte er:

"Na gut, Du hast Recht. Was wäre das für ein Unsinn, wenn Du mich stechen würdest. Also steig auf meinen Rücken und halt Dich fest."

Es dauerte noch etwas, bis der etwas ungeschickte Skorpion sich auf den Rücken des Frosches manövriert hatte und der inzwischen sehr ungeduldige Frosch rief "festhalten". Dann glitt er vorsichtig und auf den Skorpion achtend ins Wasser.

Mit kräftigen und langen Zügen begann der Frosch den Weg zum anderen Ufer, zu seiner Fröschin und zu dem ersehnten gemeinsamen Abend. Langsam wurde die Uferpromenade größer, der Frosch konnte schon einige Steinformationen und einen Busch erkennen, an dem er sich immer gerne beim Anschwimmen des Ufers orientiert. Da spürte er es.

Ein ganz sanftes Ausbreiten einer wohligen warmen Welle, ausgehend von einem Punkt seines Rückens, an dem er mit etwas Konzentration einen süßen Schmerz ausmachen konnte. Seine Schwimmzüge wurden ungenauer, etwas wie sanftes Fliegen. Er drehte sein linkes Auge zurück und blickte direkt dem Skorpion in dessen ausdruckslose Augen.

"Was... was hast Du gemacht?"

"Ich? Äh..." setzte der Skorpion an, und schaute etwas in die Luft, machte dann den Eindruck, als ob er zur Ablenkung zum Summen eines Liedchens ansetzen wollte.

"Was?! Hast Du mich gestochen?" fragte der Frosch, dessen Gliedmassen inzwischen gleichzeitig wie frei fliegend und nicht richtig kontrollierbar eher ungenaue Schwimmzüge ausführten.

"Mmh. Ja." sagte leise der Skorpion, etwas mit einem seiner Füße auf dem Rücken des Frosches scharrend, während er seine Augen in die Ferne schweifen ließ.

"Aber... Aber das wolltest Du nicht und... warum hast Du das gemacht?" brachte der Frosch heraus. Die Wirkung des Stichs breitete sich mehr und mehr aus und der Frosch konnte sein Auge nur noch mit Mühe auf den auf seinem Rücken kauernden Skorpion richten.

"Weil,... weil ich so bin."

DLF, 30.12.2019: Ambiguitätstoleranz - Lernen, mit Mehrdeutigkeit zu leben

Der DLF beschreibt unter Einbindung von Zitaten namhafter Wissrnschaftler eine recht wesentliche Eigenschaft im geschäftlichen Alltag, die Ambiguitätstoleranz als die Fähigkeit und Bereitschaft, Mehrdeutigkeit zuzulassen.

Geschäftspartner sind in der Regel eher fremd als befreundete Personen. Ist bekannt, dass ein Geschäftspartner ein Skorpion ist, kann man sich darauf einrichten, ihn eher als "feindartig" wahrnehmen und behandeln.

Ist nicht klar, ob der Geschäftspartner Freund oder Feind ist, gerät man schnell in ein Fremdendilemma, zu dem in dem Beitrag des DLF ausgeführt wird: „Zu dem Thema des Fremden hat Zygmunt Bauman, der polnische Philosoph, schon sehr Wesentliches gesagt. Er sagte, dass der Fremde eigentlich eine problematischere Kategorie ist als der Feind. Der Feind ist eindeutig der Feind auf der anderen Seite, und der Freund ist eindeutig auf meiner Seite. Aber der Fremde ist weder Feind noch Freund, sondern eine schwer zuzurechnende Kategorie. Also das heißt, der Fremde ist immer etwas Ambiges.“

Der Fremde ist so nicht eindeutig gut oder schlecht. Eventuell lassen sich von Situation zu Situation Ansätze zu beiden Richtungen erkennen. Hiermit ist umzugehen und die in dem Umgang mit einer gewissen Unklarheit liegende Spannung erfordert oder ist abhängig von einer gewissen Ambiguitätstoleranz.