Kartellrecht - Marktmachtmissbrauch, Ausnutzung beherrschender Position, § 19 GWB

Ein Unternehmen, das über eine marktbeherrschende Position in einem bestimmten Markt verfügt, ist kartellrechtlich dazu angehalten, dieser Position entsprechend angemessen zu agieren und insbesondere nicht die eingenommene beherrschende Stellung zum Nachteil des Wettbewerbs zu missbrauchen.

1.   Marktbeherrschende Stellung

Sowohl nach europäischem als auch nach deutschem Kartellrecht ist zwingende Voraussetzung das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung des handelnden Unternehmens.

1.1.  Definition der marktbeherrschenden Stellung

Die Bewertung eines Unternehmens als marktbeherrschend bedarf einer umfassenden und komplexen Betrachtung in tatsächlicher, ökonomischer und rechtlicher Hinsicht. Ausgangspunkt im deutschen Recht ist die in § 18 GWB befindliche Definition der Marktbeherrschung. Nach der Grundnorm des § 18 Abs. 1 GWB ist ein Unternehmen marktbeherrschend, „soweit es als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt 1. ohne Wettbewerber ist, 2. keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist oder 3. eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern überragende Marktstellung hat“. § 18 enthält zudem weitere Tatbestände bzgl. der Bestimmung einer marktbeherrschenden Stellung.

Das EU-Kartellrecht enthält keine gesetzliche Definition der marktbeherrschenden Stellung (Vgl. Eilmansberger/Bien, Münchener Kommentar zum Kartellrecht, 2. Auflage 2015, Art. 102 AEUV, Rn. 71).Die Merkmale der marktbeherrschenden Stellung wurden im Wege der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) entwickelt.

Die Definitionen der Marktbeherrschung nach deutschem und europäischem Recht stimmen im Wesentlichen überein.

1.2.  Relevanter Markt

Generell gilt, dass zur Bestimmung einer Marktbeherrschung eine zweistufige Prüfung vorzunehmen ist. Zunächst muss der relevante Markt in räumlicher, sachlicher und zeitlicher Hinsicht ermittelt/ abgegrenzt werden. Sodann ist das Vorliegen einer beherrschenden Stellung auf diesem Markt zu ermitteln.

Es kommt vorliegend entscheidend darauf an, wie der relevante Markt abzugrenzen ist. Es wäre beispielsweise – als Idee – möglich, als relevanten Markt einen weltweiten, europäischen, nationalen oder regionalen Markt für den Online-Vertrieb von XY-Produkten und/ oder von Waren im Allgemeinen über Online-Verkaufsplattformen (Online-Marktplätze) abzugrenzen. In einer Entscheidung der EU-Kommission aus dem Jahre 2010 tendiert die Kommission dazu, einen deutschlandweiten Homeshopping Markt für den Vertrieb von bestimmten Produkten, dort zu Spielwaren, abzugrenzen (EU-Kommission, Entscheidung vom 16.02.2010, COMP/M.5721). Im Ergebnis ließ die Kommission aber eine Entscheidung offen.

Eine Beurteilung über die Abgrenzung eines relevanten Marktes ist auf Grundlage einer umfassenden Prüfung und einer dazu erforderlichen Detailauswertungen vorzunehmen.

1.3.  Beherrschende Stellung

Nach Bestimmung des relevanten Marktes bedarf es einer Feststellung einer Marktbeherrschung der jeweils in Frage stehenden Störer. Für eine entsprechende Bestimmung sind zahlreiche Kriterien heranzuziehen, wie etwa die Marktstruktur, die Stellung des betreffenden Unternehmens auf dem Markt, das Vorliegen von Marktzutrittsbarrieren oder die Art und das Ergebnis des Marktverhaltens des Unternehmens (Vgl. Eilmansberger/Bien, Münchener Kommentar zum Kartellrecht, 2. Auflage 2015, Art. 102 AEUV, Rn. 102 ff.).

Die Europäische Kommission und der EuGH gehenin diesem Zusammenhang davon aus, dass von einer marktbeherrschenden Stellung ausgegangen werden kann, wenn ein Unternehmen ein unumgänglicher Vertragspartner auf dem relevanten Markt ist (Vgl. Eilmansberger/Bien, Münchener Kommentar zum Kartellrecht, 2. Auflage 2015, Art. 102 AEUV, Rn. 74.).

Die Marktstellung eines überragend relevanten Störers - beispielsweise einer bestimmten Internetplattform - kann je nach Prüfungsergebnis durchaus als überragend bezeichnet werden. So vermarkten beispielsweise Online-Händler einen großen Teil ihrer Waren, insbesondere Waren bestimmter Produktkategorien, über einen bis maximal zwei Online-Marktplätze, da die Markplätze ihnen eine große Reichweite betreffend potentiellen Kunden verschaffen.

Das Bundeskartellamt scheint davon auszugehen, dass die die bekannteren Marktplätze - als Beispiel - eine überragende Marktstellung haben. In einem Interview im Januar 2016 äußerte etwa der Präsident des Bundeskartellamtes, Herr Andreas Mundt, Folgendes:

Große Internetunternehmen wie Google, Facebook oder Ebay tendieren zu einer monopolähnlichen Dominanz“.

Es wäre so beispielhaft eher leichter argumentierbar, dass eines der hier benannten Unternehmen über eine marktbeherrschende Stellung verfügt.

2.   Missbräuchliches Verhalten

Unter der Annahme, dass eine marktbeherrschende Stellung vorliegt, bedarf es im Weiteren der Feststellung eines marktmachtmissbräuchlichen Verhaltens des/der Störer.

Hier sind viele Spielarten denkbar. Vorstellbar könnte etwa sein, das eine unentgeltliche Überlassung von Nutzungsrechten an bestimmten Werken unter gleichzeitiger Androhung des Ausschlusses bei Nichtakzeptierung der Vorgabe als missbräuchliche Handlung im Sinne von § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 GWB; Art. 102 Abs. 2 Buchst. a  AEUV als sog. „Konditionenmissbrauch“ verstanden werden muss/kann.

Ein Konditionenmissbrauch liegt vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordert, die von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden (vgl. § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB).

In der hier beispielhaft benannten unentgeltlichen zwanghaften Übertragung von Nutzungsrechten kann für die Unternehmen als Nutzer von Online-Plattformen eine schwerwiegende Benachteiligung angenommen werden. Jedenfalls, wenn die Übertragung von Nutzungsrechten zum Nachteil der Unternehmen ohne eine äquivalente Gegenleistung und jegliche Mitspracherechte gefordert/ erzwungen wird. Zugleich wäre - in diesem abstrakten Beispiel - die Übertragung wegen der fehlenden Vergütung eher nicht vereinbar mit den Regelungen der §§ 11 Satz 2, § 32 UrhG.

Nimmt man wegen der Zwangsregelung zusätzlich an, dass eine fehlerhafte und unzulässige AGB vorliegt, so könnte sich daraus ergänzend eine Missbräuchlichkeit im Sinne von § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 GWB ergeben. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass die Verwendung unzulässiger AGB durch marktbeherrschende Unternehmen grundsätzlich einen Missbrauch gemäß § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 GWB darstellt, insbesondere dann, wenn die Regelung der unwirksamen Klausel Ausfluss der Marktmacht oder einer großen Machtüberlegenheit ist (BGH, Urteil vom 24.01.2017, KZR 47/14, Rn. 35 – VBL Gegenwert II; BGH, Urteil vom 06.11.2013, KZR 61/11 – VBL-Gegenwert I, Rn. 65).

3.   Kausalität zwischen Marktmacht und missbräuchlichem Verhalten

Gefordert wird weiter eine Kausalität zwischen Marktmacht und Durchsetzbarkeit des mißbräuchlichen Verhaltens. Für das zuvor beschriebene Beispiel kann man annehmen: Die Erzwingung einer Nutzungsrechteübertragung erscheint gerade und nur auf Grund der dominanten Marktposition einer Plattform durchsetzbar und wäre so mithin eher leicht nachvollziehbar Ausfluss der Marktmacht der Plattform. Händler zahlreicher Produktkategorien wie etwa Accessoires, Spielwaren etc. sind inzwischen zur Erzielung einer entsprechenden Kundenreichweite auf die Nutzung von Online-Handelsplattformen angewiesen. Auf Grund der hohen Marktkonzentration im Bereich des Online-Handels auf einige wenige große Marktplätze sind die Ausweichmöglichkeiten für Händler erheblich eingeschränkt. Den (potentiellen) Händlern bleibt damit in dem Beispiel eher keine Alternative zur Einwilligung in die veränderten AGB und die Pflicht zur kostenfreien Nutzungsrechteübertragung als "vertragliche Quasi-Enteignung".

4.   Interessenabwägung

Zuletzt ist eine Abwägung der Interessen von Betroffenen und dem/den Störern vorzunehmen. Die im Rahmen der kartellrechtlichen Prüfung vorzunehmende Interessenabwägung erfolgt nicht starr nach einem bestimmten Schema, sondern vielmehr in Form einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Dementsprechend kann einer eventuellen Beurteilung einer Kartellbehörde oder eines Gerichts nicht vorgegriffen und in der Regel vorab immer nur eine Tendenz bestimmt werden.

In dem Beispiel der Zwangseinforderung von Nutzungsrechten durch eine Onlineplattform spricht auch die vorab anzustellende Interessenabwägung eher für eine kartellrechtliche Unzulässigkeit der Durchsetzung der AGB-Bestimmungen zur "vertraglichen Quasi-Enteignung".

Zwar mag ein Störer ein Interesse daran haben, dass seine Plattform kostenfrei im Hinblick auf bestimmte Produkte einheitlich gestaltet ist.  Demgegenüber haben gewerbliche Händler aber ein vitales Interesse an einer attraktiven Präsentation ihrer Produkte. Ausschlaggebend für den Erfolg der Vermarktung von Produkten sind vordergründig die im Angebot eingebetteten Produktfotografien. Dementsprechend besteht ein großes Interesse von Unternehmen daran, dass andere Unternehmen nicht - und erst recht nicht kostenlos - auf die urheberrechtlich geschützten Bilder etc. zugreifen dürfen. Die Überlassung von Nutzungsrechten an eine Plattform würde zugleich bedeutet zugleich die Überlassung von urheberrechtlich geschützten Werken bedeuten, mithin verfassungsrechtlich geschütztes Eigentum nach Art. 14 GG, an Konkurrenten. Unternehmen können aber eher nicht zur Unterstützung ihrer Konkurrenten gezwungen werden. Dies erscheint jedenfalls gut vertretbar.

Die im Rahmen der kartellrechtlichen Prüfung vorzunehmende Interessenabwägung erfolgt nicht starr nach einem bestimmten Schema, sondern erfolgt vielmehr in Form einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Dementsprechend kann vorliegend einer eventuellen Beurteilung einer Kartellbehörde oder eines Gerichts nicht vorgegriffen werden und eine auch keine Tendenz festgehalten werden.

5.      Vorgehen bei zwei Störern

Werden unzulässige Handlungen durch in einem Einzelfall einmal durch zwei Störer praktiziert, ist im Rahmen der kartellrechtlichen Prüfung die Verhaltensweisen jedes Störers jeweils für sich zu betrachten. Ein - eine Kartellrechtwidrigkeit vei Vorliegen verstärkendes - kollusives bzw. mittäterschaftliches Vorgehen kann immer nur bei konkreten Anhaltspunkten unterstellt werden.